Mit dem Projekt NeGeL (Neugestaltung von Lernprozessen in Berufskollegs) starteten Wirtschaftsp?dagogen der Universit?t Paderborn unter Leitung von Prof. Dr. Peter F. E. Sloane vor drei Jahren ein innovatives Unterrichtskonzept. NeGeL wirkt der hohen Abbrecherquote von Schülern mit ?erfolgloser Bildungsbiographie“ an berufsvorbereitenden Berufskollegs entgegen. Mit im Boot: die Reinhard Mohn Stiftung mit Projektmanager Rüdiger Bockhorst, die Unfallkasse NRW mit Dr. Heinz Hundeloh und drei Berufskollegs. Neben dem Erich Gutenberg Berufskolleg und dem Reinhard Mohn Berufskolleg nimmt auch das Lüttfeld-Berufskolleg in Lemgo, vertreten durch Schulleiter Manfred Kreisel, teil. Ein von der Reinhard Mohn Stiftung finanzierter Film dokumentiert nun den erfolgreichen Verlauf des Projekts.
Der im Auftrag der Reinhard-Mohn-Stiftung über NeGeL gedrehte Film ist abrufbar über folgenden Link: http://download.videograph.de/down/Projektfilm_NeGeL_Reinhard_Mohn_Stiftung.zip
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Wo liegen die Ursachen von Schulversagen und wie kann dem entgegengesteuert werden? Prof. Dr. Peter F. E. Sloane, Berufsbildungsforscher und einer der V?ter von NeGeL, stellt aufgrund seiner Forschungen das traditionelle Bildungssystem auch an allgemein bildenden Schulen in Frage: ?Erfolgserlebnisse werden in deutschen Schulen eher nicht vermittelt. Vielmehr herrscht das Prinzip vor, Schw?chen herauszustellen, negativ abzugrenzen und zu selektieren. Man versucht systembedingt eher herauszufiltern, wer nicht in das System geh?rt, und weniger den Weg zu gehen, jeden mitzunehmen. So gesehen ist Inklusion eine notwendige Gegenposition zur Haltung mancher Lehrkr?fte in der Schule. Solche gewachsenen Einstellungen sind oft schwer zu überwinden. Zugleich pr?gen die Erfahrungen der Lernenden mit dem System Schule deren Rezeptionsmuster. Man erwartet, vereinfacht ausgedrückt, nicht, dass die Schule pl?tzlich Freude und Erfolge vermittelt, vielmehr stellt man die Frage, was die Vorgaben sind und wie man damit umgehen muss, um erfolgreich zu sein. In Umkehrung des Sprichworts ?Du lernst nicht für die Schule, sondern für das Leben!“, überwiegt die Haltung ?Du lernst nicht für das Leben, sondern um die Erwartungen der Lehrer zu erfüllen!“
Hier sieht der Paderborner Wirtschaftsp?dagoge die besondere Chance der Berufskollegs. Dort k?nnen die Schüler n?mlich losgel?st von ihrer bisherigen ?Schulvergangenheit’ neue positive Erfahrungen machen. Im Idealfall gelingt es ihnen zu vermitteln, dass sie im Berufskolleg in eine andere Welt eintreten, die anderen Regeln folgt als die traditionell schulische.
Ein Ansatzpunkt von NeGeL dies zu ver?ndern, ist die Unterstützung der Lehrkr?fte. Diese seien gefordert, die Schüler nicht etwa passend für die Betriebe zu machen, sondern mit der F?rderung selbstregulierten Lernens eine berufsübergreifende Sichtweise zu vermitteln – unter Einbeziehung von ?konomischen, technischen, sozialen, kulturellen und weiteren Fragestellungen. Hier werde auch die besondere Herausforderung für die Lehrert?tigkeit im Berufskolleg deutlich: ?Nicht selten begreifen Lehrer von Berufskollegs ihre Schule als Gegenentwurf zur traditionellen Schule, entwickeln Lernangebote, die anwendungsorientiert, berufs- bzw. lebensnah sind, und machen dann aber trotzdem die Erfahrung, dass dies kein Selbstl?ufer ist. Es gibt weiterhin Schüler, die einen F?rderbedarf haben, z. B. Lernschwierigkeiten, und es gibt Misserfolge. Dies auszuhalten und mit einer positiven Einstellung weiter zu machen, ist eine der gro?en mentalen und motivationsbedingten Herausforderungen für Lehrende in der Bildungsarbeit.“ Sloane leitet daraus einen weiteren wichtigen Ansatzpunkt ab, der im Projekt NeGeL ?hnlich starke Berücksichtigung findet.
Der Ansatz von NeGeL zielt gerade deshalb auf die nachhaltige Entwicklung der Organisation Schule. Auf systemischer Ebene wird im Projekt z. B. das Konzept der ?guten gesunden Schule’ verfolgt. Dessen Ziel ist, die Bildungsqualit?t der Schule, aber auch den Gesundheitszustand aller an Schule Beteiligten, zu verbessern. So gesehen verfolgt NeGeL einen ganzheitlichen Ansatz. Sloane fordert: ?Die Belastung, die Lehrerinnen und Lehrer aushalten müssen, die innovativ, zugewandt oder f?rdernd t?tig sein wollen, muss eine entsprechende Berücksichtigung in der Weiterentwicklung der Schule insgesamt finden.“
Dr. Heinz Hundeloh, leitender Bildungsbeauftragter der Unfallkasse NRW, begründet aus solchen ?berlegungen heraus das Engagement seiner Unfallkasse, wobei auch er den Schlüssel im selbstregulierten Lernen sieht. Das k?nne, wie am Beispiel des Lüttfeld-Berufskollegs zu sehen, die Lehrer- und Schülergesundheit f?rdern, eine inklusive Lernkultur unterstützen und die mentale Berufsf?higkeit von Lehrern sicherstellen. Hundeloh erteilt der Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten gute Noten und hebt besonders die Paderborner Wissenschaftler hervor: ?Die machen einen guten Job.“ Das Fazit des ursprünglichen Lehrers f?llt positiv, wenn auch westf?lisch-zurückhaltend aus: ?Ob wir unserem Anspruch, die allgemeine Lehrer- und Schülergesundheit zu f?rdern, tats?chlich in vollem Umfang gerecht werden, kann ich noch nicht sagen. Aber so viel schon: Es ist ein gangbarer Weg.“
Hilfreiche Unterstützung kommt von einem weiteren F?rderer, Rüdiger Bockhorst, verantwortlicher Projektmanager der Gütersloher Reinhard-Mohn-Stiftung. Die Stiftung setzt sich in ihren Projekten intensiv mit dem Thema Bildungsgerechtigkeit auseinander. Dabei verfolgt sie u.a. das Ziel, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abzul?sen. Für den Unterricht und Schulalltag an den teilnehmenden Berufskollegs sieht Bockhorst die T?tigkeit multiprofessioneller Teams, bestehend aus z.B. Lehrern, Sozialp?dagogen und Psychologen, als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Darüber hinaus sollen regelm??ig erhobene Daten die Ressourcen für die Unterstützung der Entwicklungsprozesse auf eine gesicherte Grundlage zu stellen. Und schlie?lich propagiert der Manager der Reinhard-Mohn-Stiftung als gemeinsame Vision die F?rderung eines gerechten Bildungssystems in der Stadt bzw. Kommune. Erst dann kann für die Kinder und Jugendlichen ein m?glichst hoher Nutzen erzielt werden.
Da deckt sich Vieles mit den wissenschaftlichen Zielen der Paderborner Wirtschaftsp?dagogen: Individuelle F?rderung und Inklusion als deren übergeordnetes Ziel, multiprofessionelle Teamarbeit und F?rderung der Lehrer- und Schülergesundheit. Dabei weist Rüdiger Bockhorst selbstkritisch auf eine interessante Entwicklung bei den Berufskollegs hin: ?NeGeL ist in den beteiligten Berufskollegs sehr unterschiedlich umgesetzt worden. Im Projektverlauf haben wir überlegt, ob der gemeinsam entwickelte Rahmen zu offen war und wir für die Berufskollegs vermeidbare Arbeitsbelastungen geschaffen haben. Die unterschiedlichen Entwicklungen der Schulen haben aber jetzt den Vorteil, dass mehrere L?sungswege entstanden sind.
Manfred Kreisel, Schulleiter des Lemgoer Lüttfeld-Berufskollegs, hat offensichtlich einen guten und gangbaren Weg gefunden, denn an seinem Kolleg wurden viele der gewonnenen Erkenntnisse in der t?glichen Bildungsarbeit erfolgreich umgesetzt: ?Wir sind dabei, mit selbstreguliertem Lernen wertvolle Erfahrungen zu sammeln, die transferf?hig sind, also auch anderen Schulen und der Fachwelt zug?nglich gemacht werden.“ Dabei st??t auch er immer wieder auf die wissenschaftlich begründeten Einsichten des Sloane-Teams: ?Die traditionellen Lehr- und Lernsysteme greifen einfach nicht mehr, wenn wir es z.B. im Berufskolleg mit 120 Flüchtlingen aus 18 Nationen zu tun haben, die teilweise erst einmal alphabetisiert werden müssen. Handlungskompetenz erhalten wir hier allein durch eine gezielte Individualisierung in multiprofessioneller Teamarbeit, d.h. durch eine aktive Schulsozialarbeit, in die auch Externe wie z.B. IHK’s und Agentur für Arbeit integriert sind. Unser Ziel ist es, den Schülern die Fachoberschulreife und damit die Integration in die Berufs- und Arbeitswelt zu erm?glichen.“
Auch wenn die Perspektiven der Projektbeteiligten teilweise unterschiedlich sind, so ist doch das Ziel für alle dasselbe, was Sloane abschlie?end so auf den Punkt bringt: ?Das Projekt ?NeGeL’ ist für mich so wichtig, weil es all diese bisher grob skizzierten Facetten in den Blick nimmt. Jede Schule setzt dabei einen eigenen Fokus, von dem aus Fragen thematisiert werden, die mit den ?berlegungen zusammenh?ngen: Wie kann ich die Schülerinnen und Schüler des ?bergangssystems individueller und besser f?rdern? Wie gelingt es, deren Selbst?ndigkeit und deren F?higkeit zur Selbstorganisation zu erh?hen? Was bedeuten diese Ansprüche für den Unterricht und für den Bildungsgang? Wie verbinde ich diese Forderung mit den Forderungen im Lehrplan? Welche Konsequenzen ergeben sich für die didaktische Jahresplanung? Welche schulorganisatorischen Ver?nderungen sind n?tig und m?glich? Diese Auflistung lie?e sich fortsetzen. Von meinen Erfahrungen her ist der Prozess wichtig. Es ist entscheidend, dass Kollegien sich mit ihrer Praxis besch?ftigen wollen und die Notwendigkeit sehen, diese Praxis zu verbessern. Der Weg ist hier, wie so oft, wichtiger als das Ziel.“
Text: Dr. Reinhard Schwarz