Welche Rückschlüsse lassen Kleider auf die Lebenswirklichkeit von Menschen früherer Epochen zu? Prof. Dr. Kerstin Kraft und Dr. Regina L?sel sind Textilwissenschaftlerinnen an der Universit?t Paderborn und Expertinnen für interpretierende Kleidungsforschung. In einem neuen Forschungsprojekt untersuchen sie die bislang kaum erforschten Textilbest?nde der Sammlung des Historischen Museums Frankfurt am Main aus den Jahren 1850 bis 1930. Das Kooperationsprojekt von Universit?t und Museum wird von der VolkswagenStiftung mit 400.000 Euro gef?rdert.
Schnittformen, Nahtverl?ufe, Stoffe – diese Merkmale von Kleidung geben Aufschluss über Rollen- und Selbstverst?ndnis ihrer Tr?ger/innen. ?Wir sind dabei vor allem an Aspekten von Bewegung und Mobilit?t interessiert. Welche Bewegungsspielr?ume und –formen lie?en Materialit?t und Schnitte der Kleider zu – oder eben auch nicht?“, erkl?rt Dr. Regina L?sel. Zeigen die schweren, hochgeschlossenen Kleider bürgerlicher Frauen Ende des 19. Jahrhunderts etwa, dass Bewegung auf offener Stra?e keine Selbstverst?ndlichkeit war, reduzierten sich in den 1920er Jahren die Kleiderschichten der weiblichen Kleidung und der K?rper – die Beine wurden sichtbar.
Neben materiellen und schneidertechnischen Befunden beziehen die Forscherinnen kulturgeschichtliche Dokumente wie Karikaturen, Benimmliteratur, physiologische Schriften oder erste Filme in ihre Analyse mit ein. Der Schwerpunkt der Sammlung des Historischen Museums im bürgerlich gepr?gten Frankfurt liegt auf Frauenkleidern aus dem Gro?bürgertum. Um auch andere Gesellschaftsschichten dieser Zeit zu berücksichtigen, werden zus?tzlich Textilbest?nde aus dem LWL-Industriemuseum in Bocholt und dem LVR-Industriemuseum untersucht.
Das Historische Museum Frankfurt wird 2017 neu er?ffnet. Ziel ist es, die Ergebnisse des Projekts ?Kleidung in Bewegung versetzen“ ab 2019 dort in einer Sonderausstellung der ?ffentlichkeit zu zeigen. Dabei sollen neue museale Pr?sentationsformen wie virtuelle Simulationen genutzt werden. ?In Frankfurt hat es lange keine gro?e Textilausstellung mehr gegeben. Wir wollen mit neuen Fragestellungen, Untersuchungsmethoden und Pr?sentationsmitteln jetzt einen ganz neuen Zugang für Besucherinnen und Besucher schaffen“, sagt Dr. Maren-Christine H?rtel vom Historischen Museum.
Text: Frauke D?ll