Für seine Forschung zur weltweiten künstlichen Kühlung und deren kulturellen Bedingungen sowie Auswirkungen erh?lt ein Forscher*innenteam, an dem auch die Universit?t Paderborn beteiligt ist, ein ?Synergy Grant“ in H?he von rund 9,9 Millionen Euro vom Europ?ischen Forschungsrat (ERC, European Research Council). Ziel von ?CultCryo – The Cultures of the Cryosphere“ – so der Projekttitel – ist es, die kulturellen Faktoren und Bedingungen des Kühlens in ihrer historischen Entwicklung zu verstehen und aus diesen Erkenntnissen Strategien abzuleiten, weniger und anders zu kühlen. Das Vorhaben wird für eine Dauer von sechs Jahren gef?rdert und startet im Frühjahr 2024.
?Künstliche Kryosph?re“
Künstliche Kühlung gestaltet die Welt grundlegend. Kühl- und Gefriertechnologien sind für eine Vielzahl von Alltagspraktiken – von Ern?hrung, Gesundheit und Fortpflanzung bis hin zu Wohnen, Telekommunikation, wissenschaftlicher Forschung und wirtschaftlicher Produktivit?t – immer wichtiger geworden. Ein globales System von Kühllagern, Kühlketten und klimatisierten R?umen ist zu einer energieintensiven, aber kaum beachteten planetarischen Infrastruktur geworden: einer ?künstlichen Kryosph?re“. Die weitreichenden Auswirkungen dieser Technologie sind jedoch gr??tenteils noch unerforscht. Jüngste Studien gehen davon aus, dass sich der weltweite K?ltebedarf bis 2050 verfünffachen wird, was das Energiebudget dramatisch übersteigt. ?CultCryo“ will dazu beitragen, zu verstehen, wie die Infrastruktur der künstlichen K?lte mit kulturellen Praktiken verwoben ist, um dabei zu unterstützen, eine drohende K?ltekrise abzuwenden.
Bewusstsein für Energiebedarf schaffen
Vonseiten der Universit?t Paderborn ist Jun.-Prof. Dr. Suzana Alpsancar, die die mit dem Heinz Nixdorf Institut assoziierte Arbeitsgruppe ?Angewandte Ethik mit Schwerpunkt Technikethik in der digitalen Welt“ leitet, am Projekt beteiligt und erkl?rt: ?Sp?testens seit dem Kalten Krieg sind moderne Gesellschaften essentiell von künstlicher K?lte abh?ngig. Unsere allt?glichen Routinen des Essens, Wohnens, Informierens und Kommunizierens aber auch der medizinischen Versorgung k?men ohne durchg?ngige Kühlketten nicht aus. Unser Ziel ist es, die kulturellen Bedingungen und Faktoren freizulegen, die diese Routinen entscheidend pr?gen. Mein Augenmerk liegt hierbei auf der Normativit?t des Kühlens. Wie kam es zum Beispiel zu der zunehmenden Bedeutung einer ununterbrochen digitalen Erreichbarkeit und Verfügbarkeit? Wieso muss ein frischer Orangensaft ein kalter sein? Wir wollen ein Bewusstsein für den Energiebedarf des Kühlens schaffen und einen kritischen Diskurs anregen, wie wir als Gesellschaft zu einem nachhaltigen Umgang mit künstlicher K?lte gelangen k?nnen. Ich freue mich sehr, dass diese so wichtige Forschung mit einem so bedeutenden Grant ausgezeichnet wurde und ich das Projekt mit meinen drei gro?artigen Kolleg*innen, mit denen mich seit vielen Jahren diverse Forschungslinien verbinden, angehen kann.“
Alternativen für eine nachhaltige Zukunft
Jun.-Prof. Dr. Suzana Alpsancar, die das erste ERC ?Synergy Grant“ an die Universit?t Paderborn bringt, wird das Vorhaben mit Dr. Alexander Friedrich (Projektkoordination, Technische Universit?t Darmstadt/Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin), Dr. Stefan H?hne (Universit?t Duisburg-Essen) und Prof. Dr. Bronwyn Parry (Australian National University) gemeinsam durchführen. Die Wissenschaftler*innen haben dafür einen innovativen Methodenmix aus den Bereichen der Technikgeschichte, Geographie, digitalen Begriffsgeschichte, Ethnographie sowie der Philosophie und der Technikethik entwickelt.
?CultCryo“ wird die erste geografische Kartierung der Kryosph?re, eine historische Rekonstruktion ihrer Entstehung, eine ethnografische Darstellung ihrer kulturellen Verfassung sowie eine philosophische Analyse und ethische Bewertung der ihr zugrunde liegenden Normen und Werte liefern. So wird das Projekt zum Wegbereiter eines innovativen interdisziplin?ren Forschungsgebiets, um ein dr?ngendes globales Ph?nomen kritisch zu analysieren und gleichzeitig Alternativen für eine nachhaltigere Zukunft der künstlichen K?lte aufzuzeigen.
Die Synergy Grants des European Research Councils gehen an Teams von zwei bis vier international renommierten Forschenden. Entscheidend für die F?rderung ist, dass die Projekte nur durch die Zusammenarbeit der benannten Forscher*innen m?glich werden. Die F?rderung kann für bis zu sechs Jahre beantragt werden mit einem maximalen Budget von zehn Millionen Euro.