Um­fra­ge un­ter Ab­itu­ri­ent*in­nen wirft Fra­gen zur Di­stanz­leh­re auf

 |  Forschung

Wissenschaftler der Universit?t Paderborn haben rund 7500 Schüler*innen zu Herausforderungen befragt und skizzieren ein ambivalentes Bild vom Status quo

Wissenschaftler der Universit?t Paderborn haben Abiturient*innen des Corona-Jahrgangs im Rahmen einer bundesweiten Umfrage zu Belastungen und Herausforderungen durch die Distanzlehre befragt. Die Ergebnisse deuten auf Uneinheitlichkeit in der Beschulung, schlechte Medienkompetenzen der Lehrkr?fte und mangelndes Vertrauen in die Politik hin.

Im Juni wurden Abiturient*innen in ganz Deutschland bereits das zweite Jahr in Folge zu ihren Erfahrungen mit dem Lernen auf Distanz von Bildungswissenschaftlern und Psychologen der Universit?t Paderborn befragt. Durchgeführt wurde die Studie von Tim Rogge aus der Arbeitsgruppe für Allgemeine Didaktik, Schulp?dagogik und Medienp?dagogik und Dr. Andreas Seifert aus der Arbeitsgruppe für P?dagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie. An der nicht-repr?sentativen Befragung, die je nach Bundesland in der Endphase bzw. direkt nach dem Abschluss der Abiturprüfungen in Kooperation mit ABIHOME.de durchgeführt wurde, beteiligten sich mehr als 7500 Schüler*innen. Schwerpunkte waren insbesondere das Belastungserleben der Abiturient*innen in den Phasen der Schulschlie?ungen und der Abiturprüfungen. Rogge erkl?rt: ?Bislang liegen Studien zur Perspektive der Schülerinnen und Schüler in Abschlussjahrg?ngen nur vereinzelt und mit kleinen Stichprobengr??en vor. Mit der quantitativen Erhebung der Schülerperspektive in Bezug auf das Abitur unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie soll eine wichtige Forschungslücke geschlossen werden. Die Untersuchung wird ab August um vertiefende Interviews mit Abiturientinnen und Abiturienten erweitert, um die Befunde der quantitativen Erhebung um qualitative Perspektiven zu erg?nzen.“

Ergebnisse belegen Unterschiede in der Beschulung und zwischen Geschlechtern

W?hrend einige Abiturient*innen berichten, im vergangenen Schuljahr durchg?ngig in Pr?senz unterrichtet worden zu sein, verbrachte die Mehrheit der Befragten Teile des Schuljahres in Distanz- oder Wechselunterricht. In puncto Belastung berichten vor allem die Abiturientinnen, mit durchschnittlich 3,73 Stunden pro Tag im Distanzunterricht deutlich mehr Zeit mit Lernen verbracht zu haben und gaben dementsprechend auch eine h?here Belastung an. Bei den Abiturienten waren es im Schnitt 2,84 Stunden. Die gr??te Belastung erlebten dabei Abiturientinnen mit Migrationshintergrund und geringem Bildungsgrad der Eltern. ?Andererseits berichten Frauen aber bessere Abschlussnoten als ihre m?nnlichen Klassenkameraden, was darauf schlie?en l?sst, dass sich Schülerinnen im Distanzlernen besser motivieren und organisieren konnten als Schüler“, fasst Dr. Andreas Seifert zusammen.

Aussagen, die im Rahmen von offenen Antwortformaten erhoben, aber noch nicht abschlie?end ausgewertet werden konnten, legen nahe, dass Phasen des Wechselunterrichts, in denen die H?lfte der Lerngruppen in Pr?senz und die andere H?lfte auf Distanz beschult wurden, als belastender erlebt wurden als Phasen, in denen die ganze Lerngruppe im Distanzunterricht unterrichtet wurde. ?Der Distanzunterricht war kein gro?es Problem. Aber durch den Wechselunterricht ist teilweise viel Zeit verloren gegangen, da oft alles zweimal unterrichtet worden ist, n?mlich je einmal pro Kursh?lfte“, lautet eine Schülerstimme.

Lehrkr?fte schneiden bei Medienkompetenz eher schlecht ab

Die Mehrheit der Befragten gab au?erdem an, über ausreichende Medienkompetenzen für den Distanzunterricht zu verfügen. Anders sch?tzen sie allerdings die Medienkompetenzen ihrer Lehrkr?fte ein: Hier gaben nur 15,1 Prozent der Befragten an, dass sie der Aussage ?Meine Lehrkr?fte verfügen mehrheitlich über ausreichend gute Medienkompetenzen für den Distanzunterricht” zustimmen. 28,9 Prozent stimmen dieser Aussage nicht zu. Je h?her die Absolvent*innen die Medienkompetenzen ihrer Lehrkr?fte einsch?tzen, umso bessere Abschlussnoten geben sie an. Auch technisch fühlen sich die Schüler*innen gut ausgestattet: 67,1 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, über eine für den Distanzunterricht ausreichend gute technische Ausstattung zu verfügen. ?Hier k?nnten die technischen Verbesserungen, die durch den DigitalPakt Schule finanziert wurden, im Laufe des Schuljahres 2020/2021 zu einer Verbesserung der Einsch?tzung beigetragen haben“, meint Rogge.

Abiturprüfungen anstelle von Durchschnittsnoten

Die Abiturient*innen befürworten die Durchführung der Abiturprüfungen und lehnen die Alternative einer Durchschnittsnote ab. Diese Werte haben sich im Vergleich zum vorherigen Abiturjahrgang deutlich erh?ht: Stimmten 2020 noch 53,4 Prozent der befragten Schüler*nnen der Aussage zu, dass es gut war, die Abiturprüfungen auch unter ver?nderten Bedingungen durchzuführen, waren es 2021 schon 61,2 Prozent. In Bezug auf die Alternative, der Bildung einer Durchschnittsnote aus allen in der gymnasialen Oberstufe erzielten Noten an der Stelle der Abiturprüfungen, befürworteten 2020 55 Prozent der befragten Abiturient*innen einen solchen Schritt – 2021 waren es nur noch 45 Prozent. Dazu Rogge: ?Als m?gliche Erkl?rung bietet sich die Sorge vor Ansteckung in Pr?senzprüfungen an, die 2020 nach dem ersten Lockdown ab April noch wesentlich ausgepr?gter gewesen sein k?nnte als ein Jahr sp?ter, als sich die Jugendlichen bereits besser auf die Gefahren des Virus einstellen konnten. Die Antworten der offenen Frageformate lassen aber vor allem aus einem anderen Grund aufhorchen: Die Sorge, dass ein ?Corona-Abitur” ohne Abiturprüfungen im Vergleich zu vorherigen Abiturjahrg?ngen als minderwertig betrachtet, und zum Beispiel bei Bewerbungen benachteiligt sein k?nnte.“

Wenig Vertrauen in die Politik

Auf die Frage nach der Zufriedenheit mit den bildungspolitischen Entscheidungen im jeweiligen Bundesland gaben rund 70 Prozent der befragten Abiturient*nnen an, unzufrieden oder eher unzufrieden zu sein. Im Bereich der offenen Antworten wird diese Unzufriedenheit besonders deutlich. So wird geh?uft der Rücktritt von Schulminister*innen der L?nder gefordert und politischen Entscheidungstr?ger*innen mit Blick auf versprochene Erleichterungen in den Abiturprüfungen Vertrauensbruch vorgeworfen. Eine Antwort lautete: ?Die Politik hat unsere Anliegen nicht ausreichend beachtet und stattdessen versucht, mittels Sturheit Gesetze durchzusetzen, deren Ausführung nicht im Sinne aller war. Allgemein hat sich die psychische Gesundheit vieler Schüler verschlechtert, was zu wenig beachtet worden ist. Die Politik muss sich mehr dafür einsetzen, in n?heren Kontakt mit Abiturienten zu treten, um sich ein besseres Bild von den Problemen der kommenden Abiturjahrg?nge zu machen.“

Symbolbild (Universit?t Paderborn, Besim Mazhiqi)

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