Un­ein­igkeit unter deutschen Wirtschaft­s­weis­en

Das deutsche Wirtschaftswachstum flacht ab – und Experten sind sich uneinig darüber, was nun zu tun ist. Das zeigt das aktuelle Jahresgutachten des ?Sachverst?ndigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Einmal im Jahr geben die fünf sogenannten Wirtschaftsweisen des Rats eine Einsch?tzung dazu ab, wie die Wirtschaftspolitik auf aktuelle Trends und Ver?nderungen reagieren soll. Bislang waren die Jahresgutachten nie besonders spannend – denn die Wirtschaftsweisen stimmten mit Ausnahme des ?konomen Peter Bofinger, der seit Februar 2019 nicht mehr im Amt ist, stets überein.

Allj?hrlich riet der Sachverst?ndigenrat zum marktliberalen Kurs. Die Schuldenbremse sollte dabei ernst genommen und die Schwarze Null heiliggehalten werden. Doch im diesj?hrigen Gutachten herrscht gro?e Uneinigkeit zwischen den ?konomen. Angesichts einer wom?glich n?her rückenden Rezession wollen zwar alle Mitglieder von der Schwarzen Null ablassen. Zwei von ihnen, Achim Truger und Isabel Schnabel, schlagen jedoch vor, auch die Schuldenbremse zu lockern, um mehr Investitionen zu erm?glichen und damit die Wirtschaft anzukurbeln. Das ist der gro?e Streitpunkt unter den Wirtschaftsweisen. Denn die Schuldenbremse gilt als wichtiger Stabilit?tsfaktor für den Staatshaushalt sowie als Vorbild für andere EU-Staaten. Zudem ist sie im Grundgesetz verankert – die drei marktliberalen ?konomen des Sachverst?ndigenrats, Lars Feld, Volker Wieland und Christoph Schmidt, wollen daran nichts ?ndern.

?Konjunkturpolitisch blanker Unsinn“

Auch Prof. Dr. Burkhard Hehenkamp, Leiter des Lehrstuhls für Institutionen?konomik und Wirtschaftspolitik an der Universit?t Paderborn, h?lt eine Lockerung der Schuldenbremse für problematisch. Zwar gibt er Truger und Schnabel recht, dass eine etwas h?here Verschuldung sinnvoll sein kann, um für eine Stabilisierung der Konjunktur zu sorgen.

Doch der Plan scheitere an der Umsetzbarkeit: ?Etwas“ lasse sich gesetzlich ebenso wenig gut greifen, wie die nur unscharf zu erfassenden Umst?nde, in denen eine Verschuldung m?glich sein sollte. Au?erdem sieht Hehenkamp Deutschland in der Verantwortung für weitere EU-Staaten: ?Mit Blick auf die Fiskalunion in der EU würde eine unsch?rfer formulierte, gelockerte Schuldenbremse die Verschuldungstendenzen der südeurop?ischen EU-L?nder wieder befeuern und somit kontraproduktiv wirken“, so der Paderborner ?konom.

Seiner Einsch?tzung nach wird Deutschland knapp an einer Rezession vorbeischrammen – wenn sich die Wirtschaftspolitik von der Schwarzen Null abwende. ?Die Schwarze Null ist konjunkturpolitisch blanker Unsinn und gef?hrlich, da sie im Gegensatz zur Schuldenbremse eine prozyklische Wirkung entfalten kann, die den Abschwung verst?rkt und so mit h?herer Wahrscheinlichkeit in die Rezession führt“, meint der Professor.

Investitionen im Abschwung erh?hen

Eine grundlegende ?nderung in der deutschen Wirtschaftspolitik h?lt Hehenkamp für unn?tig. Denn das abflachende Wirtschaftswachstum sei vor allem durch ?u?ere Faktoren begründet. Die gesamte Weltwirtschaft wachse langsamer, was auf fundamentale Unsicherheiten in der internationalen Welt- und Handelspolitik zurückzuführen sei. Sich abschottende Handels- und Wirtschaftspolitiken, wie zum Beispiel Gro?britannien und die USA, wirken sich laut dem Wirtschaftswissenschaftler negativ auf die Nachfrage nach deutschen Investitions- und Industriegütern aus und schw?chen somit das deutsche Wirtschaftswachstum. ?Letztlich hat die deutsche und europ?ische Wirtschaftspolitik auf die Exportnachfrage wenig Einfluss. Ein staatsfinanziertes Konjunkturprogramm würde das ebenso wenig ?ndern“, meint Hehenkamp.

Den Streit zwischen den Wirtschaftsweisen führt er nicht nur auf eine sich wandelnde Wirtschaftsdynamik zurück. Auch die Ver?nderung in der Zusammensetzung des Sachverst?ndigenrats sei ein Grund für die Uneinigkeit der Wirtschaftsweisen. Schlie?lich gehe die Forderung nach neuen wirtschaftspolitischen Ma?nahmen von den beiden zuletzt berufenen ?konomen aus: ?Ob sich hier ein Generationenwechsel anbahnt, wird die Zukunft zeigen.“

Obwohl der Paderborner Professor eine grundlegende Reform der deutschen Wirtschaftspolitik für überflüssig h?lt, fordert er eine dringende Abkehr von der Schwarzen Null und eine ?Beschr?nkung auf die Umsetzung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse“. Das allein erlaube, die Investitionen im Abschwung zu erh?hen, um so die Konjunktur anzukurbeln, ohne dabei die wirtschaftliche Stabilit?t zu gef?hrden.

Lea-Melissa Vehling, Stabsstelle Presse und Kommunikation

Foto (Universit?t Paderborn, Reckendorf): Prof. Dr. Burkhard Hehenkamp, Leiter des Lehrstuhls für Institutionen?konomik und Wirtschaftspolitik an der Universit?t Paderborn, h?lt eine Lockerung der Schuldenbremse für problematisch.

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