?Wack­en ist mit­tler­weile eine Marke“

Jun.-Prof. Dr. Beate Flath zum 30-j?hrigen Jubil?um des Heavy-Metal-Festivals

Headbanging ausdrücklich erwünscht: Am 1. August wird die kleine Gemeinde Wacken in Schleswig-Holstein wieder zum Schauplatz für eines der weltweit gr??ten Heavy-Metal-Festivals. Zum 30-j?hrigen Jubil?um des ?Wacken Open Air“ blickt Jun.-Prof. Dr. Beate Flath auf dessen Entstehungsgeschichte zurück, erkl?rt, wie es sich über die Jahrzehnte ver?ndert hat und welche sozialen Funktionen Musikfestivals haben k?nnen.

Frau Flath, wie wurde aus einem ursprünglich beschaulichen und defizit?ren Festival in einer Gemeinde in Schleswig-Holstein eines der gr??ten Heavy-Metal-Festivals der Welt?

Flath: Ganz allgemein l?sst sich sagen, dass sich diese Erfolgsgeschichte sowohl in umfassende gesellschaftliche Ver?nderungen – Stichworte ?Erlebnisgesellschaft“ und ?Eventisierung“ – als auch damit zusammenh?ngend in das starke Wachstum des gesamten Festival- bzw. Livemusikmarktes einfügt. Das erkl?rt natürlich noch nicht den Erfolg dieses Festivals. Das ?Wacken Open Air“ entwickelte sich seit seiner ersten Ausgabe im August 1990 mit damals um die 800 Besuchern zu einer Marke, die für ein bestimmtes Image und für bestimmte Lebensstile steht. Aus meiner Sicht ist das auf eine Kombination aus Do it yourself-Mentalit?t der Anfangsjahre, klugem Band-Booking, interessanter Location, gro?er Akzeptanz der lokalen Bev?lkerung und Aufgreifen eines Zeitgeistes bzw. in weiterer Folge Weiterentwickeln des Festivals zurückzuführen.

Für welche Art von Musik steht der Begriff ?Heavy Metal“ und welche Bands gelten als Begründer dieser Musikrichtung?

Flath: Musikgenres und Grenzen zu anderen Genres sind h?ufig uneindeutig bzw. unklar und Geschichten zu ihrer Entstehung sind je nach Perspektive unterschiedlich – so diese denn überhaupt dokumentiert sind oder ?erz?hlt“ werden. Das gilt auch für Heavy Metal. Dennoch l?sst sich sagen, dass die musikkulturellen Vorl?ufer im britischen Blues Rock und im Progressive Rock der 1960er und frühen 1970er liegen. In weiterer Folge werden vor allem Bands wie ?Black Sabbath“, ?Deep Purple“ und ?Led Zeppelin“ damit verbunden. Heavy Metal formierte und etablierte sich dann ab Mitte der 1970er Jahre bis in die frühen 1980er Jahre, wofür exemplarisch Bands wie ?Judas Priest“, ?Mot?rhead“ oder ?Iron Maiden“ stehen. Mit den 1980er Jahren begann die auch jetzt immer noch anhaltende Ausdifferenzierung des Heavy Metal in Black Metal, Dark Metal, Funky Metal, Glam Metal, Grindcore, Gothic Metal, Metal Core, Power Metal, Prog Metal, Sleaze, Viking Metal usw.

Musikangebot, Altersstruktur, Kommerzialisierung und Co.: Wie hat sich das ?Wacken Open Air“ über die Jahre hinweg ver?ndert?

Flath: Eine zentrale Ver?nderung, die jedoch nicht nur auf das ?Wacken Open Air“ zutrifft, ist die st?ndige Ausdifferenzierung des Rahmenprogramms: Neben den klassischen Verkaufsst?nden, einem Biergarten und dem ?W:O:A Soccercup“ finden sich auf der aktuellen Homepage unter den Kategorien ?Spoken Word“, ?Action“, ?Party & Walking Acts“ und ?Filme“ unter anderem ?Slam Battles“, ?Cage Fights“, Feuershows, Ritterk?mpfe, Karaoke, ?Metal Yoga“ und Kurzfilme. Auch das 150-j?hrige Bestehen der Ortskirche von Wacken wurde 2013 mit der Veranstaltung ?Full Metal Church“, bestehend aus einem Gottesdienst mit der Band ?Faun“, Lesungen und Predigten von Martin Dreyer, in das Festivalkonzept integriert. Au?erdem ist die Festival-Infrastruktur zu nennen, zu der etwa eine Bier-Pipeline, ca. 900 Sanit?ter, ein Supermarkt und eine Poststation geh?ren.

Diese Ver?nderungen im Zusammenhang mit dem stetigen Wachsen des Festivals – 2018 besuchten um die 75.000 Festivalg?ste das Wacken Open Air – werden von vielen Besuchern aber auch kritisch gesehen: Demnach werde das Festival zum Mainstream, die Zahl der Festivaltouristen steige und Künstler wie Heino und Otto passten hier nicht her. Das hei?t, Ver?nderungen in der Publikumsstruktur des Festivals speisen sich zum einen aus den eben beschriebenen Entwicklungen, zum anderen aber auch aus einem dennoch treuen Publikum, das mit Wacken ?altert“.

Mitte der 1990er Jahre zog die bis heute weltweit erfolgreiche Band ?Pearl Jam“ gegen die Vertriebsgesellschaft ?Ticketmaster“ vor Gericht – wegen der ihrer Meinung nach zu teuren Konzerttickets. Aus Protest sagte die Band sogar ihre Sommertour ab. Heute kostet ein Drei-Tages-Ticket für Wacken 220 Euro, die Preise für andere Festivals sind vergleichbar. Hinzu kommen die Kosten für Anfahrt und Verpflegung. Schlie?en Festivalbetreiber und Bands mit diesen Preisen nicht bewusst bestimmte Bev?lkerungsgruppen aus, die sich das alles schlichtweg nicht leisten k?nnen?

Flath: Ich denke, dass Festivalbetreiber Bev?lkerungsgruppen, die sich die Tickets nicht leisten k?nnen, nicht ?bewusst“ ausschlie?en, sondern schlicht kommerziell erfolgreich sein m?chten. Das trifft natürlich auch auf die entsprechenden Vertriebsgesellschaften zu. Zudem ist zu bedenken: Die Kosten für ein solches Festival sind extrem hoch – die Gagen vieler bekannter Künstler sind stark gestiegen – und die Rahmenbedingungen für diese Art von Veranstaltungen haben sich in den letzten Jahrzehnten stark ver?ndert. Nichtsdestotrotz trifft es zu, dass sich nicht jeder oder jede ein Festivalticket leisten kann, was auch im Hinblick auf kulturelle Teilhabe kritisch zu sehen und jedenfalls zu diskutieren ist. Ich bin der Meinung, dass dies auch im Zusammenhang mit der Branchenstruktur ein hoch politisches Thema ist, das leider zu selten in den Fokus der Politik gerückt wird.

Gro?e Festivals wie ?Wacken“, ?Hurricane“, ?Rock am Ring“ oder ?Southside“ laufen erfolgreich. Doch wie steht es um die zahlreichen kleineren Festivals in Deutschland?

Flath: Der Erfolg eines Festivals ist nicht von seiner Gr??e abh?ngig. Es gibt eine Vielzahl an kleineren oder mittleren Festivals, die in Nischen sehr erfolgreich sind und die durch Besonderheiten im Hinblick auf Lineup, Location, Rahmenprogramm oder Nachhaltigkeit punkten. Dies bedeutet auch, dass alternative Formate entstehen und sich so das Konzept ?Festival“ weiterentwickelt. Man denke hier beispielsweise an Boutique Festivals etc.

Bei Festivals wie Wacken kommen j?hrlich Zehntausende zusammen. Welche sozialen Funktionen kann das gemeinsame Musikh?ren in Zeiten individuell abrufbarer Musikstreaming-Dienste wie ?Spotify“ haben?

Flath: Beweggründe, ein Musikfestival zu besuchen, sind sehr unterschiedlich und für bestimmte Publika oder Teilpublika auch pr?gend: Ablenkung vom oder Ausbruch aus dem Alltag, etwas Au?ergew?hnliches erleben wollen, Zeit mit Freunden verbringen, Gleichgesinnte treffen, Bands oder Künstler live erleben oder sich einfach unkontrolliert und ausgelassen gehen lassen, sind einige davon.

Dabei würde ich weniger davon ausgehen, dass Musik gemeinsam ?geh?rt“ wird, denn gemeinsam mit Freunden Musik zu h?ren, klappt auch zu Hause – ob über ?Spotify“ oder LP. Bei Festivals wird Musik unmittelbar k?rperlich in der Gruppe oder je nach Gr??e auch in der Masse erlebt – denken wir beispielsweise an hohe Lautst?rken, die tats?chlich k?rperlich spürbar sind, an das Mittanzen, Mitsingen oder Rituale wie Moshpits. Das kann zu dem Gefühl, in der Masse aufzugehen, zu intensiven Gruppenerlebnissen oder Gemeinschaftsgefühlen und zu (tempor?ren) Vergemeinschaftungen führen. Das hei?t: Sowohl Musik als auch Gemeinschaft werden in diesen Kontexten abseits des Gewohnten ?erlebt“. Zu diesem Erleben geh?ren ebenso das Camping, der Geruch von Bier, Pommes und Schwei?, m?glicherweise eine l?ngere Anreise, Merchandise, Matsch, Sonnenbrand und auch, dass das Festival irgendwann wieder endet – und Gruppen sich unverbindlich wieder aufl?sen oder enger zusammengewachsen sind und wom?glich auch, dass (Spotify-)Playlisten miteinander geteilt werden.

Interview: Simon Ratmann, Stabsstelle Presse und Kommunikation

Foto (w_safer): Jun.-Prof. Dr. Beate Flath forscht und lehrt seit 2015 an der Universit?t Paderborn zu Eventmanagement mit den Schwerpunkten Popul?re Musik, Medien und Sport.

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