Wissenschaftler*innen entwickeln Verfahren zur Herstellung neuer Kunststoffmaterialien
Die Medizin, die Luftfahrt und die Automobilbranche sind h?ufig auf sehr komplexe Kunststoff-Bauteile angewiesen. Mithilfe additiver Fertigungsverfahren, h?ufig auch 3D-Druck genannt, k?nnen diese individuell, unkompliziert und in passender Stückzahl hergestellt werden. Ein weit verbreitetes und qualitativ hochwertiges Verfahren in diesem Bereich ist das sogenannte Lasersintern. Dabei bringt ein Laser ein Polymerpulver erst zum Schmelzen und baut anschlie?end das gewünschte Kunststoff-Bauteil schichtweise auf. Doch es gibt einen Haken: Für das Verfahren stehen bislang nur wenige Materialien zur Verfügung, da die Herstellung von sehr feinen Polymerpulvern sehr aufw?ndig ist und nur für wenige Materialien entsprechende Verfahren etabliert sind. In einem Forschungsprojekt wollen Wissenschaftler*innen der Universit?t Paderborn daher neue Verfahren zur Herstellung beliebiger Kunststoffmaterialien in Pulverform entwickeln. Dafür wurde eine Laborhalle aufw?ndig umgebaut, mit den ben?tigten Apparaturen und Maschinen ausgestattet und nun nach rund zweij?hriger Planungs- und Bauzeit fertiggestellt. Der Europ?ische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) f?rdert das auf drei Jahre angelegte Projekt mit einem Projektvolumen von rund 3,8 Millionen Euro.
?Industrial Manufacturing in North Rine Westphalia“ (iAMnrw-Materials), so der Projekttitel, bündelt die Kompetenzen der Kunststofftechnik Paderborn (KTP) und des Lehrstuhls für Partikelverfahrenstechnik (PVT) sowie des Lehrstuhls für Werkstoffkunde (LWK) für ein weiteres Projekt zur Herstellung von Metallpulvern und ist zentral im Paderborner Institut für Additive Fertigung (PIAF) angesiedelt.
Hochdruck-Tanks mit Kohlenstoffdioxid und Stickstoff, Filtertechnik-Anlagen, umfangreiche Lüftungssysteme – all das befindet sich in dem zweist?ckigen Labor, das für die spezielle Forschungsausrichtung des Projekts umgebaut wurde. Hier sollen künftig nicht nur neue Verfahren zur Herstellung von Kunststoffen in Pulverform entstehen, sondern auch g?nzlich neue Materialien für den Lasersinter-Prozess erschlossen werden. ?Aktuell beschr?nkt sich die Herstellung von Kunststoff-Bauteilen mithilfe additiver Fertigung zu über 90 Prozent auf PA12, eine spezielle Variante von Nylon. Eine Erweiterung des Materialportfolios ist daher dringend erforderlich. Wenn wir neue Materialien entwickeln wollen, müssen diese komplexen Anforderungen gerecht werden. Nur durch neue Materialien k?nnen Eigenschaften wie Elastizit?t, H?rte und Temperaturfestigkeit in den sp?teren Produkten entscheidend verbessert werden. Das würde eine ganze Reihe neuer Anwendungen erm?glichen“, erkl?rt Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Schmid, Gesamt-Projektleiter und Inhaber des Lehrstuhls für Partikelverfahrenstechnik.
?Das Hochtechnologie-Labor wurde in enger, konstruktiver Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung Detmold, dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb Bielefeld, den beteiligten Wissenschaftlern und dem Dezernat 5 der Universit?t Paderborn finanziert, geplant und realisiert. Mit dem Bau des Labors wurde die kontinuierliche Erweiterung des Hochtechnologiestandortes Universit?t Paderborn vorangetrieben und der Region OWL wurden weitere Zukunftsperspektiven in der Hightech-Forschung er?ffnet“, unterstreicht Klaus Watermeier, Leiter des Sachgebiets Bauangelegenheiten im Dezernat 5.
Mithilfe von Stickstoff und CO2 zu neuen Materialien
Um für unterschiedliche Ausgangsmaterialien das bestm?gliche Verfahren w?hlen zu k?nnen, haben sich die Wissenschaftler*innen für zwei unterschiedliche Ans?tze entschieden. Mithilfe des ersten Ansatzes wollen sie grobe Materialien durch sogenannte ?kryogene Vermahlung“ in Pulverform überführen. Dabei findet eine Zermahlung des Kunststoffes bei starker Unterkühlung mit flüssigem Stickstoff statt. Damit das so erzeugte, kantige Pulver die hohen Anforderungen des Lasersinter-Prozesses erfüllt, muss es anschlie?end abgerundet werden. Auch dafür nimmt das Projektteam verschiedene Strategien unter die Lupe. Der zweite Ansatz fokussiert sich auf einen neuartigen Sprühprozess. Dabei wird überkritisches CO2 in einem Extruder mit geschmolzenem Polymer vermischt und anschlie?end in einem Sprühturm verdüst. Auf diese Weise sollen direkt runde Partikel in der gewünschten Gr??e entstehen. Co-Projektleiter Prof Dr.-Ing. Volker Sch?ppner, Inhaber des Lehrstuhls für Kunststoffverarbeitung und Vizepr?sident für Lehre, Studium und Qualit?tsmanagement: ?Die Schwierigkeiten liegen einerseits in der schonenden Herstellung einer homogenen Mischung von CO2 und Polymer und andererseits in dem anschlie?enden Sprühprozess zur Herstellung der Kunststoffpulver mit den gewünschten Eigenschaften. Dies kann nur ist einer engen Zusammenarbeit von Kunststofftechnik und Verfahrenstechnik gelingen.“
Individuelle L?sungen für Orthop?die, Zahnmedizin und Co.
Die gro?e St?rke des 3D-Druck-Verfahrens, das in Paderborn weiterentwickelt werden soll, zeigt sich für die Wissenschaftler besonders in seiner Individualisierung. So k?nnten etwa Hilfsmittel in der Orthop?die oder Zahnmedizin individuell angefertigt werden, ohne bei ihrer Herstellung auf spezielle Werkzeuge zurückgreifen zu müssen. Auch die rund 4.500 Gesichtsschutzschilder, die das Direct Manufacturing Research Center (DMRC) der Universit?t zu Beginn der Corona-Pandemie für ?rtliche Krankenh?user, Arztpraxen und Pflegeheime angefertigt hatte, zeigten, wie schnell mit dieser Technik auf neue Herausforderungen reagiert werden kann.
Paderborner Institut für Additive Fertigung bündelt die Forschungskompetenzen
Für die Universit?t Paderborn ist das Projekt ein entscheidender Schritt, um den Forschungsbereich Additive Fertigung weiter zu st?rken: ?Wenn wir mithilfe dieses Projekts nicht mehr auf die am Markt verfügbaren Materialien beschr?nkt sind, sondern selbst neue Materialien entwickeln k?nnen, wird uns das ganz neue M?glichkeiten im Bereich der Forschung und Weiterentwicklung des Kunststoff-Lasersinterns er?ffnen. Damit werden wir im Paderborner Institut für Additive Fertigung dann die Kompetenz für die gesamte Prozesskette vom Material bis zum fertigen Bauteil gebündelt haben“, erkl?rt Hans-Joachim Schmid. Laut Volker Sch?ppner würden sich so gerade für den wissenschaftlichen Nachwuchs neue M?glichkeiten ergeben: ?Das Projekt erlaubt es auch, unsere Studierenden aus den Studieng?ngen Maschinenbau und Chemieingenieurwesen in Forschungsprojekte auf modernstem Niveau einzubinden und somit eine bestm?gliche Vorbereitung für den Arbeitsmarkt von morgen anzubieten.“
Weitere Informationen zum Projekt gibt es hier.
Kamil Glabica und Simon Ratmann, Stabsstelle Presse, Kommunikation und Marketing