Wie in einem Artikel in der internationalen Wirtschaftszeitung ?Financial Times“ im letzten Monat ausführlich beschrieben, ringt Brasilien mit einem Gewirr an Steuergesetzen. Für den geforderten notwendigen Reformbedarf wurde auch auf den Steuerkomplexit?tsindex (Tax Complexity Index) zurückgegriffen, der von der Universit?t Paderborn zusammen mit der Ludwig-Maximilians-Universit?t München (LMU) für 100 L?nder weltweit entwickelt wurde.
?Ein kafkaeskes Steuerregime mit st?ndig wechselnden Regeln und undurchsichtigen Vorschriften“ – so beschreibt ein im Dezember 2019 erschienener Artikel der ?Financial Times“ das Steuersystem in Brasilien. Ein Steuerexperte moniert darin die hohe Steuerkomplexit?t und die Rechtsunsicherheit innerhalb des Landes. Urs?chlich dafür seien die drei separaten Steuerebenen in Brasilien, zwischen denen es keine Verbindung gibt: Bund, L?nder (27 an der Zahl) und Kommunen (mehr als 5.000 St?dte). Zum Deklarieren und Entrichten der Steuern ben?tigt ein mittelst?ndisches brasilianisches Unternehmen nach Angaben der Weltbank etwa 2.000 Stunden – mit Abstand die meisten weltweit. Im Vergleich dazu fallen für ein US-amerikanisches Unternehmen nur etwa 175 Stunden und für ein britisches Unternehmen lediglich 105 Stunden an. Darüber hinaus wird in dem Artikel auf den Tax Complexity Index verwiesen, bei dem Brasilien den letzten Platz einnimmt.
In die Forschungsarbeiten zum Tax Complexity Index brachten auch Wissenschaftler der Paderborner Fakult?t für Wirtschaftswissenschaften ihre Expertise ein: Prof. Dr. Caren Sureth-Sloane, die die Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, innehat, und ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter Thomas Hoppe. In einem Team zusammen mit der LMU München entwickelten sie ein landesspezifisches Ma? für Steuerkomplexit?t, das es erlaubt, die wichtigsten nationalen Komplexit?tstreiber zu identifizieren. Dabei wird grunds?tzlich zwischen den Steuergesetzen selbst und den Rahmenbedingungen wie Betriebsprüfungen und Beschwerdeverfahren unterschieden. Au?erdem untersucht das Team den Zusammenhang zwischen diesen Arten von Steuerkomplexit?t und ausl?ndischen Direktinvestitionen.
?Die Komplexit?t von Steuersystemen hat in den letzten Jahren als Standort- und Investitionsfaktor stark an Bedeutung gewonnen. Dies gilt vor allem für multinationale Unternehmen. Brasilien nimmt im L?ndervergleich Platz 100 ein und weist somit die h?chste Komplexit?t auf“, erl?utert Caren Sureth-Sloane den Hintergrund der Forschungsergebnisse zum Tax Complexity Index. Thomas Hoppe erkl?rt die Zielsetzung: ?Wir wollten die Komplexit?t des Ertragssteuersystems in einer Vielzahl von L?ndern für multinational agierende Kapitalgesellschaften messen. Dazu haben wir zwei weltweite Online-Befragungen mit erfahrenen Steuerexperten internationaler Steuerberatungsgesellschaften und -netzwerke durchgeführt.“
Auf dieser Basis identifizierte das Forschungsteam die Treiber von Komplexit?t in Steuersystemen. Diese lassen sich nicht nur im Gesetz selbst (z. B. Verrechnungspreisregelungen), sondern insbesondere auch in den steuerlichen Rahmenbedingungen eines Landes verorten. Auf den identifizierten Treibern aufbauend entwickelte das Autorenteam den Tax Complexity Index. Sureth-Sloane zum Ergebnis: ?Das Komplexit?tsniveau variiert weltweit stark, wobei etliche L?nder gegens?tzliche Tendenzen hinsichtlich der Auspr?gung der Komplexit?t des Steuergesetzes und der Komplexit?t der steuerlichen Rahmenbedingungen aufweisen. Es l?sst sich zudem festhalten, dass Deutschland keinesfalls der oftmals herausgestellte Titel des ?Weltmeisters“ im Hinblick auf Steuerkomplexit?t zukommt. Es liegt vielmehr im Mittelfeld der 100 betrachteten L?nder.“
Die Forschungsergebnisse zum globalen Steuerkomplexit?tsindex flie?en in den BWL-Sonderforschungsbereich ?TRR 266 Accounting for Transparency. Rechnungswesen, Steuern und Unternehmenstransparenz“ ein, dessen Sprecherin Sureth-Sloane ist.
Weitere Informationen
Webseite des Tax Complexity Index: www.taxcomplexity.org
Webseite des Sonderforschungsbereichs ?Accounting for Transparency“: www.accounting-for-transparency.de
Artikel der Financial Times vom 16. Dezember 2019 (Bezahlversion): www.ft.com/content/a65cf6dc-12bc-11ea-a7e6-62bf4f9e548a
Text: Fakult?t für Wirtschaftswissenschaften